Zum Tod unseres Kollegen Hartmut Rentsch
(26.07.1948 – 27.11.2022)
Der Tod unseres ehemaligen Kollegen Hartmut Rentsch kam für uns unerwartet und schmerzlich. Noch wenige Wochen vorher meldete er sich für das Ehemaligentreffen ab, an dem er sonst immer teilgenommen hatte, schrieb aber nur von einer harmlosen Krankheit. Bei den vorherigen Treffen wirkte er noch ganz jung und enthusiastisch wie immer. Auch die Memes, die er noch wenige Wochen vor seinem Tod per WhatsApp versendete, zeigten, dass er seinen wunderbar schrägen Sinn für trockenen Humor nicht verloren hatte.
Wir erinnern uns mit einem Lächeln auf der Lippe an den Ausspruch „Frohes Schaffen“, mit dem sich Hartmut Rentsch nach der Pause in den Unterricht verabschiedete. In diesen Worten verbinden sich seine Heiterkeit und seine geradezu sprichwörtliche stoische Ruhe. Nichts konnte ihn aus der Bahn werfen und Konflikte mit Kolleg*innen oder Studierenden waren bei einem so in sich ruhenden Menschen kaum denkbar.
Auch brachte er uns zum Schmunzeln, indem er sich selbstironisch über seine Herkunft lustig machte und zeigte, wie gut er sächseln konnte. Gerne zitierte er aus Kurt Tucholskys satirischem Schulaufsatz über den Menschen: „Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.“ (Weltbühne vom 16.6.1931)
Als Hartmut Rentsch in den Ruhestand wechselte, konnten wir uns nicht vorstellen, dass es jemals Schulfeiern ohne seine musikalische Begleitung geben könnte und bis heute ist diese Lücke offen. Er liebte Folkmusic aus dem anglophilen Raum und spielte mit Hingabe Harfe und Gitarre. Zur Begleitung brachte er mal seine Tochter mit Querflöte, mal einen Studenten mit Saz mit.
Hartmut Rentsch hat sich mit unserer Schule identifiziert und offensichtlich in unserem Kollegium wohlgefühlt. Er war Lehrer für Englisch, Französisch und Latein, das wir ohne ihn lange Zeit nicht hätten anbieten können. Er konnte sich darüber hinaus mit einem schottischen Akzent verständigen und vor allem Walisisch sprechen. Trotz seiner großen Sprachbegeisterung hatte er immer großes Verständnis dafür, wenn Studierende mit Fremdsprachen kämpfen mussten. Mit viel Engagement vermittelte er die Freude am Sprachenlernen. Dazu unternahm er Exkursionen zu Orten, an denen das Lateinische noch lebendig zu machen ist, wie dem Römisch-Germanischen Museum in Köln oder Friedhöfen mit lateinischen Inschriften. Er initiierte zusammen mit Gönül Candan die Comenius-AG und war bei Projekten in Büyükçekmece genauso aktiv, wie bei den türkischen Besuchen in Gelsenkirchen. Mitten unter unseren türkischen Kolleg*innen fühlte er sich wohl, begegnete ihnen voller Wissbegier und pflegte mit einigen enge Beziehungen. Später arbeite er mit Julia Meppelink und Maria Pengelley zusammen und beteiligte sich genauso begeistert an den Fahrten nach Cambridge.
Unvorstellbar schien es uns, Hartmut Rentsch jemals ohne sein Tweedsakko und dem Lederbutton zu sehen, der den Walisischen Drachen zeigte. Natürlich war das nur unsere subjektive Wahrnehmung. In Wirklichkeit trug er im Sommer und in der türkischen Hitze durchaus auch einmal nur ein schickes Hemd.
Der Drache, der auch seine Motorhaube zierte, zeugte von Hartmut Rentschs Liebe zu Wales. Jedes Jahr machte er in den Sommerferien dort Bildungsurlaub, war Gast an der Bangor University und perfektionierte seine Fähigkeit, gälische Quellen zu übersetzen und zu interpretieren, was eine philologische Meisterleistung darstellt.
Sein Antrieb war, dass er besessen von dem alten walisischen Volkslied „The Rejected Maiden“ war. Es handelt von Jane, einer jungen Frau, die im 19. Jahrhundert ums Leben gekommen war. Anders als die Ballade wollte Hartmut Rentsch die einfache Erklärung nicht einfach glauben, dass sie wegen einer zurückgewiesenen Liebe Suizid begann. Er vermutete, dass diese Geschichte der Tarnung eines Mordes dienen könnte. Zur Aufklärung dieses historischen Kriminalfalls suchte er mit Hingabe nach alten Zeitungstexten und Aufzeichnungen, befragte alteingesessene Waliser*innen sowie Historiker*innen und Gelehrte. Von diesen Forschungen erzählte er uns immer wieder voller ansteckender Begeisterung. Seinen Forschungen waren von wissenschaftlicher – oder detektivischer – Aufrichtigkeit geprägt und so kam er nach langen Recherchen zu dem Schluss, dass seine These, Jane wäre ermordet worden, mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch war. Den Abschlussbericht seiner Ermittlung legte Hartmut G. Rentsch unter dem Titel „Jane. ,Yr Eneth Gadd ei Gwrthod` The rejected Maiden“ vor.
Viele von uns erfahren erst jetzt, dass er dieses Lebenswerk vollenden konnte und das ist eine schöne Nachricht zu der traurigen seines Todes.
Wir verlieren einen geliebten Kollegen und spannenden Gesprächspartner, die graue Eminenz und den Musiker unserer Schule sowie seinen ansteckenden Enthusiasmus und sein fröhliches Lächeln.
Wir wünschen Hartmut Rentsch auch im Jenseits
Frohes Schaffen!
Anke Budde für das Kollegium der Schule
Writing this book has been a delightful and rewarding challenge,
Like a long lasting quest for the truth.
One will readily embark on such an enterprise,
If one is driven on by some demon
Whom one can neither resist nor understand.
(Hartmut G. Rentsch)
Die Musik war immer Thema
Als ich im Februar 2008 nach meinem Referendariat am Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe meine erste Stelle als „richtige“ Lehrerin antrat, lernte ich durch die Unterrichtszeiten am Vormittag und am Abend sowie in der Zweigstelle in Dorsten zunächst nicht alle Kolleginnen und Kollegen kennen.
So kam es, dass ich Hartmut erst auf der Studienfahrt nach Istanbul als Kollegen kennenlernte. Wie es der Zufall wollte, war am ersten Abend im Restaurant alles etwas chaotisch. Es gab nur kleinere Tische, die zum Teil zusammengeschoben wurden. Allerdings passten nicht alle an diese Tische, so dass ich mich mit Hartmut am „Katzentisch“ wiederfand. Bei freier Auswahl hätte ich mich sicherlich neben ein mir besser bekanntes Gesicht gesetzt. Umso erstaunter war ich, einem so hoch- und vielseitig gebildeten Menschen gegenüberzusitzen, der so wunderbar erzählen konnte. Schnell entdeckten wir die gemeinsame Liebe zur Musik.
Musik war ein häufiges Thema bei unseren Gesprächen im Lehrerzimmer. Nachdem ich mich als Gesangsschülerin eher der Wiener Klassik oder dem Romantischen Lied gewidmet hatte, nahm ich an mehreren Veranstaltungen zur Alten Musik teil. Daraufhin probte ich mit Hartmut an einem Nachmittag nach Unterrichtsschluss im kleinen Lehrerzimmer. Dabei mussten wir zwar feststellen, dass meine Opernstimme und englische Renaissancemusik nicht so gut zusammenpassen, aber ich erinnere mich an einen netten Nachmittag in angenehmer Atmosphäre.
An der ein oder anderen Abiturfeier übernahm Hartmut mit – wenn ich mich recht erinnere – einer seiner Töchter die musikalische Gestaltung des Abends und konnte so sein Können unter Beweis stellen. Wie immer dezent, nie aufdringlich konnte er auch hier seine Zuhörer verzaubern.
Dies konnte er auch als Geschichtenerzähler, so dass ich, obwohl ich gerne und viel rede, zur aufmerksamen Zuhörerin wurde. Besonders der Todesfall einer jungen Frau in Wales hatte es Hartmut angetan. Er versuchte den Fall aufzuklären, obwohl er schon mehr als hundert Jahre zurücklag. So verbrachte Hartmut häufig die Ferien in Wales um dort in Zeitungsarchiven etc. nach Hinweisen zu suchen, die er akribisch sammelte und auswertete. Abschließend kam Hartmut zu dem Schluss, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Mord, wie er zu Beginn vermutet hatte, sondern Selbsttötung vorlag. Ich verfolgte seine Detektivarbeit gerne mit und fragte nach jeden Ferien neugierig nach neuen Erkenntnissen.
Vor etwa anderthalb Jahren als ich, die immer gerne auch autodidaktisch etwas Neues lernt, auf die Idee kam, Latein zu lernen, rief ich Hartmut an um ihn zu fragen, ob er mir bei Bedarf als Tutor helfen könne. Hartmut freute sich über meinen Anruf. Es schien ihm gut zu gehen und wir unterhielten uns recht lange und angeregt. Wir sind verblieben, dass ich mich melden solle, wenn ich ein bisschen Unterstützung in Latein bräuchte. Ich könne aber auch gerne so wieder anrufen, wenn meine kleine Tochter mir nicht die Zeit zum Lateinlernen ermöglicht. Dabei ist es leider geblieben und ich bedauere es, mich nicht mehr gemeldet zu haben.
Dann bleiben noch ein paar kleinere Erinnerungen. Das Bild, wie Hartmut, der wohl als einziger den historischen Wasserboiler im Lehrerzimmer benutzt hat, dort stand um seinen Cappuccino zu trinken, immer freundlich lächelnd. Und seine obligatorischen Worte zum Wochenende oder Ferienbeginn: „Gute Erholung!“
Nun ist die Welt um einen intelligenten, vielseitig gebildeten, interessanten Menschen ärmer und der Himmel um einen begeisterten Musiker reicher. Vielleicht, wenn es ganz still ist, weht nun hin und wieder ein Hauch von keltischer Harfe durch die Luft in unsere Ohren…
Sylvia Hardt