Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage

Jüdische Nachbarn – Auftaktveranstaltung

Am Mittwoch, den 27.10.2021 eröffnete das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe die Ausstellung Jüdische Nachbarn mit engagierten Grußworten der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Judith Neuwald-Tasbach, der Bürgermeisterin Martina Rudowitz und dem Vorsitzenden des Heimatverein Dingden Heinz Wolberg.

Die kommissarische Schulleiterin Anke Budde warnte davor, Antisemitismus ausschließlich als Problem der extremen Rechten zu betrachten. Es sei wichtig, auch weitverbreitete antisemitische Vorstellungen in der bürgerlichen Gesellschaft zu erkennen. In den nächsten Wochen werde die Schule das vielfältige jüdische Leben in der Region kennenlernen. Dazu dienten nicht nur Workshops zur Ausstellung, sondern auch Besuche der Synagogen in Gelsenkirchen und Essen, aktuelle Filme und eine Podiumsdiskussion zu jüdischem Leben und Antisemitismus heute. Außerdem wurde der Tag zum Anlass genommen, eine neue Schule-ohne-Rassismus-AG ins Leben zu rufen.

Bürgermeisterin Martina Rudowitz bedauerte, dass das jüdische Leben vor 1933 viel zu selten in den Blick genommen werde. Deshalb freute sie sich über das große Interesse der vielen gespannt lauschenden Studierenden im vollbesetzten Foyer der Schule. Sie forderte alle auf, Verantwortung für heutige gesellschaftliche Entwicklungen zu übernehmen, um das Pflänzchen der Demokratie zu schützen.

Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, betonte, wie wichtig es sei, die ganze 1.700 Jahre lange jüdische Geschichte in unserem Heimatland zu kennen. Sie erzählte von ihren Vater Kurt Neuwald, der mit Ausnahme seines jüngsten Bruders Ernst, seine ganz Familie durch den Holocaust verlor. Nach seiner Befreiung aus einem Außenlager des KZ Buchenwald entschied er sich, im Land der Täter zu bleiben und diesem eine neue Chance zu geben. Dabei habe es nach 1945 kein einziges Jahr ohne Antisemitismus gegeben und ihre Religion sei immer mit Polizeipräsenz verbunden gewesen.
Was es bedeutet, jederzeit mit Antisemitismus konfrontiert werden zu können, schilderte Neuwald-Tasbach am Beispiel eines Schulerlebnisses aus ihrer Kindheit: Sie hatte eine unerwartet schlechte Note für einen Aufsatz zum Thema Heimat bekommen. Als Ihr Vater nachfragte, erklärte der Lehrer, der Aufsatz zeige, dass Juden kein Heimatgefühl haben könnten. Wie sich das für einen Holocaustüberlebenden anfühlen muss, der seiner Heimat in Gelsenkirchen eine zweite Chance gibt, mag man sich kaum ausmalen.
Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde warnte, dass Antisemitismus nicht nur jüdisches Leben, sondern die ganze Gesellschaft zu zerstören drohe. Adolf Hitler habe gewollt, dass alle Menschen gleich aussehen und denken. Man müsse aber Vielfalt als Bereicherung und Chance zur Weiterentwicklung begreifen. Deshalb erhoffte sie sich von den Anwesenden, dass sie alle Botschafter des Friedens würden. Sie endete mit einem Zitat aus dem Talmud:
„Jeder einzelne soll sagen: Für mich ist die Welt geschaffen. Daher bin ich mitverantwortlich.“

Abschließend erzählte der Vorsitzenden des Heimatverein Dingden Heinz Wolberg, wie es zu der Ausstellung kam: Der Heimatverein kaufte ein leerstehendes altes Haus. Bei den Renovierungsarbeiten ab 2001 tauchten hinter Tapeten und Deckenverkleidungen immer mehr Erinnerungen an die jüdische Familie Humberg auf, die dort lebte, bevor sie durch die nationalsozialistische Verfolgung zerstört wurde. Dazu gehörten nicht nur Wandmalereien und Zeitungsreste an den Wänden, sondern sogar eine vollständige Hängevorrichtung für Vieh der ehemaligen Metzgerei der Familie. Der Heimatverein entschied, das Humberghaus zu einem Geschichtsort zu machen, an dem Schüler*innen die Familie Humberg, ihr Leben und ihr Schicksal greifbar erfahren können.
Darüber hinaus hat der Heimatverein die Geschichte weiterer Jüd*innen rekonstruiert und daraus die Ausstellung Jüdische Nachbarn konzipiert. Sie zeigt am Beispiel individueller Biographien die Vielfalt jüdischen Lebens vor der NS-Herrschaft sowohl in der bäuerlichen Welt auf dem Land als auch im städtischen Raum in Lippe, im Rheinland und in Westfalen. Außerdem wird die Zerstörung dieser Welt durch die nationalsozialistische Verfolgung dargestellt, aber auch das Leben nach 1945, bei denjenigen, die den Holocaust überlebten. Einzelschicksale, so Wolberg, könnten das Ausmaß des Schreckens und des Verlustes kultureller Vielfalt besser erfahrbar machen, als nackte Zahlen. Außerdem sollten Jüd*innen nicht nur als Opfer, sondern auch als aktiv handelnde Subjekte gezeigt werden, die Geschichte gestalten.

321 - 2021 -> 1.700 Jahre

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