Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage

Julia R., geborene Bauer

Durch meinen damals noch undiagnostizierten Asperger-Autismus habe ich den Schulabschluss damals auf einer Regelschule nicht geschafft. Es war mir oft zu laut, denn mir fehlt diese sogenannte "Filterfunktion", die Hintergrundgeräusche ausblendet.

Konzentrieren und am Unterricht richtig teilnehmen zu können, war mir also nicht möglich und auch durch private Umstände in der Familie und eine sehr schlechte Beziehung haben mich dazu veranlasst, die Schule am Ende abzubrechen. Damals war ich 18 und bin in Speyer zur Schule gegangen.

Jahrelang hatte ich auch mit Depressionen zu tun und bin durch eine neue Beziehung ins Ruhrgebiet gezogen. Dort habe ich erstmal an der VHS Herten meine Mittlere Reife nachgeholt und bin durch meinen damaligen Freund auf das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe aufmerksam geworden, da auch er dort sein Abitur nachgeholt hatte. Kurzerhand habe ich mich nach der Mittleren Reife dazu entschlossen es dort auch zu versuchen und habe letztes Jahr 2021 dort mein Abitur erlangt.

Meine Erfahrungen waren sehr gut. Durch die kleinen Klassen hielt sich der Lärmpegel oft in Grenzen und ich konnte mich viel besser konzentrieren. Auch die Lehrer sind sehr gut auf die einzelnen Bedürfnisse der Schüler eingegangen. Auch die Beratungsangebote waren hervorragend. Ich persönlich habe mich an der Schule sehr wohl gefühlt und mit der Zeit konnte ich mich auch den Lehrern gegenüber mehr öffnen, als ich es von mir gewohnt war. Ich bin mir sicher, dass mir diese Schulform als Alternative zur Regelschule auch zu einem früheren Zeitpunkt in meinem Leben sehr geholfen hätte. Natürlich wurde man auch bei jeglichen kleineren und größeren Problemen unterstützt. Ich glaube, es war im zweiten Semester, als unsere Englischkurse zusammengelegt wurden. So waren wir also ungefähr 30 Leute in einer Klasse. Nun kann man sich vorstellen, dass der Lärmpegel für mich, so wie die plötzliche Veränderung, sehr überwältigend war. Ich konnte mich kaum konzentrieren oder anderweitig zusammenreißen. Mit diesem Problem bin ich also zu meinem Lehrer, Herr Woock, und auch zum Sozialpädagogen Herr Kramp gegangen. Sie haben sich so sehr dafür eingesetzt, dass die Klassen wieder aufgetrennt wurden. Anderen Mitschülern fiel es immerhin so auch schwieriger zu lernen und sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Natürlich hatte es einige Zeit gedauert, weil vieles umorganisiert werden musste, aber am Ende hatte sich doch eine Lösung gefunden.

Auch im Nachhinein bin ich noch sehr davon beeindruckt, wie sehr das Kollegium und auch die Mitschüler an dieser Schule zusammenarbeiten. Bei Problemen konnte man sich immer einem Lehrer anvertrauen und es wurde tatsächlich geholfen. Außerdem gab es immer reichlich Projekte, wie z.B. den Weihnachtsverkauf oder das Erasmus +, an dem ich teilgenommen hatte und somit auch nach Schweden reisen konnte. Auch wie wir durch den Lockdown durch die Corona-Pandemie gekommen sind, war beeindruckend. Trotz mangelnder Digitalisierung in Deutschland haben die Lehrer, oft in eigener Initiative, Online-Unterricht und dergleichen vorbereitet. Die Schule hat mir sehr dabei geholfen, offener zu werden und auch meine eigenen Meinungen zu vertreten. Ich persönlich bin als Mensch durch die Erlebnisse und den Umgang an der Schule gewachsen. Die Hilfe der Lehrer und auch der vertrauensvolle Umgang machen diese Schule zu etwas ganz Besonderem.

Während der Pandemie habe ich dann auch noch meinen Partner gefunden. Mittlerweile sind wir verheiratet und ich baue mir hier mit ihm ein Leben auf. Ohne die Schule hätte ich mich vielleicht sogar nie getraut, mich alleine ins Flugzeug nach Finnland zu setzen. Immerhin war ich vor der Schulzeit sehr scheu. Also spielt sie auch da eine kleine Rolle. Ob es bei mir mit einem Studium weitergeht oder nicht, stellt sich in Zukunft noch heraus. Meine Sprachkenntnisse im Finnischen sind zwar schon ok, aber für ein Studium reicht es noch nicht. Da ich gerne die samischen Sprachen und Kultur studieren würde, brauche ich Finnisch. Auf Englisch wird das Studium leider nicht angeboten. Vielleicht würde ich aber auch lieber einen kreativen Beruf ausüben oder generell eher kreativ sein. Zu 100% sicher bin ich mir also noch nicht. Aber eines habe ich in meinem Leben gelernt: Wenn man länger braucht als Andere oder gar auf Umwegen dort landet, wo man sich nie gesehen hätte, ist das auch wundervoll. Immerhin wachsen wir nur durch neue Erfahrungen, die außerhalb unserer Komfortzone liegen.

Anderen am WBK würde ich gerne mit auf den Weg geben, dass sie sich den Lehrern bei Problemen anvertrauen und nach Lösungen suchen. Das „Handtuch werfen“ scheint oftmals viel einfacher zu sein, als den Weg zu Ende zu gehen, aber hinterher würde man es vielleicht bereuen. Deswegen sollte man sich bei Schwierigkeiten immer Hilfe holen, auch wenn dies manchmal schwer fällt. Unsere Schule hat großartige Lehrer, die wirklich bereit sind, uns durch das Abitur zu begleiten und zu helfen. Man muss eben nur auf sie zugehen und auch Angebote akzeptieren.

Außerdem habe ich gelernt, wirklich darauf zu schauen, was außerhalb der Komfortzone liegt und genau das zu machen. Neue Erfahrungen helfen uns dabei zu wachsen und zu realisieren, dass wir viel mehr können, als wir es uns selbst zugetraut hätten.